Schule oder Kita wegen Corona zu: Kinderbetreuung. Arbeitsverhinderung. Entschädigung?

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Von Dr. Philipp Brügge
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Schule oder Kita wegen Corona zu: Kinderbetreuung. Arbeitsverhinderung. Entschädigung?

Das Corona-Virus ist im Alltag angekommen. Nachdem es erst kontrovers diskutiert wurde und auch die Bundesländer keine einheitliche Linie finden konnten, erfolgen nun täglich Anordnungen, welche die Schließung von Schulen, Kindertagesstätten und sonstigen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zum Gegenstand haben. Immer mehr Bundesländer schließen Schulen und Kindertagesstätten. Ziel ist es, die Ausbreitung des Corona-Infektionsgeschehens wenn schon nicht gänzlich verhinderbar, zumindest erheblich zu verlangsamen, um so Zeit zu gewinnen. In anderen Ländern der Europäischen Union, so z.B. in Italien und Österreich erfolgen ganz aktuell Anordnungen, welche die Schließung ganzer Bereiche des öffentlichen Lebens (Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten, Museen, Theater etc.) betreffen

Gerade in Anbetracht der aktuell vermehrt angeordneten Schließung von Schulen und Kindergärten außerhalb von Ferien und Urlaubszeit stellt sich für berufstätige Eltern Fragen, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen, namentlich wie sie Arbeit und Kinderbetreuung auch zu ansonsten regulären Schul- oder KiTa-Zeiten in Einklang bringen sollen.

Grundsätzlich gilt: Kinderbetreuung ist Arbeitnehmersache

Grundsätzlich ist die Frage der Kinderbetreuung die Aufgabe und Verantwortung der berufstätigen Eltern, mithin der Arbeitnehmer und Angestellten. Das Risiko, dass zu gewissen Zeiten die Betreuung der Kinder nicht gewährleistet sein könnte, trägt nicht der Arbeitgeber.

Ist im Falle der Schließung der Schule oder der KiTa unter Berücksichtigung des Alters der Kinder eine Betreuung erforderlich, obliegt es daher den berufstätigen Eltern selbst, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um eine Betreuung ihrer Kinder für Zeiten von Schul- oder Kindergartenschließung anderweitig zu gewährleisten.

Eine anderweitige Betreuung (z.B. durch die Großeltern, Tagesmütter o.ä.) kann sich indes in Anbetracht des aktuellen Infektionsgeschehens ebenfalls durchaus sehr schwierig gestalten bzw. muss in einzelnen Fällen durchaus kritisch hinterfragt werden. Zumal insbesondere ältere Menschen augenscheinlich durch das Corona-Virus überdurchschnittlich hoch gefährdet sind und die allgemeinen medizinischen wie auch behördlichen Empfehlungen wohl dahingehen, soziale Kontakte in infektionskritischen Zeiten auf ein erforderliches Mindestmaß zu begrenzen, um ein Fortschreiten der Infektionsketten bestmöglich einzudämmen.

(…) Ziel [ist es], die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus so weit wie möglich zu verzögern. Sie sollten durch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen wie die Reduzierung von sozialen Kontakten mit dem Ziel der Vermeidung von Infektionen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich sowie eine Reduzierung der Reisetätigkeit (…)“,

Quelle: Robert Koch-Institut, Risikobewertung zu COVID-19

Die Lungenkrankheit COVID-19 ist vor allem für Menschen mit Vorerkrankungen und Ältere gefährlich. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Kinder können dabei als Über-/Träger des COVID-19-Virus nicht ausgeschlossen werden.

Betroffenen Arbeitnehmern ist zu empfehlen, sich unverzüglich und intensiv um anderweitige Betreuungsmöglichkeiten zu bemühen. Kann eine anderweitige Betreuung von schulpflichtigen Kindern oder Kleinkindern nicht anderweitig hergestellt bzw. gewährleistet werden, stellt sich sowohl für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber die Frage, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll.

Keine Kinderbetreuung wegen Schulschließung: Gehalt trotz Arbeitsverhinderung?

Sind die berufstätigen Eltern nicht in der Lage, die Kinderbetreuung anderweitig zu gewährleisten, daher selbst gehalten, ihre Kinder in Zeiten der Schulschließung zu betreuen und insoweit an der Arbeit gehindert, stellt sich die Frage, ob sie wegen einer behördlich angeordneten Schließung der Schule oder der KiTa ihrer Kinder zu Hause bleiben dürfen ohne dabei ihre Vergütungszahlung zu riskieren.

Wenn die Eltern wegen des Corona-Virus zu Hause bleiben müssen. Gibt es dann weiterhin Gehalt? (Foto von Tim Arterbury auf Unsplash)

Die Möglichkeit, bei einer persönlichen Verhinderung zu Hause zu bleiben und gleichzeitig den Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung zu behalten, ist nur unter engen Voraussetzungen gegeben. Grundlage hierfür ist § 616 BGB. Danach gilt:

„Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird“.

Entscheidend ist, dass lediglich subjektive, d.h. persönliche Leistungshindernisse den gesetzlichen Tatbestand erfüllen können. Das können besondere familiäre Ereignisse sein, bei denen es als unverzichtbar gilt, anwesend zu sein (MüKoBGB/Henssler Rn. 36), wie z.B. Eheschließungen, Teilnahme an Beisetzungen im engen Familienkreis oder die Niederkunft der Ehefrau). Aber auch persönliche Unglücksfälle, wie z.B. unverschuldete Verkehrsunfälle o.ä. können einen Fall einer persönlichen Verhinderung darstellen (Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, Rn. 4 zu § 616 BGB). Der Arbeitnehmer muss insoweit aus einem in seiner Person liegenden Grund an der Dienstleistung verhindert sein. Bei der Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals ist zwischen objektiven und subjektiven Leistungshindernissen zu unterscheiden (BAG AP Nr. AP 58).

Demgegenüber fallen objektive Leistungshindernisse nicht in den Risikobereich des § 616 BGB. Als objektive Leistungshindernisse sind solche Umstände anzusehen, die nicht nur den einzelnen Arbeitnehmer, sondern eine unbestimmte Vielzahl anderer Personen in gleicher Weise betreffen (Staudinger/Oetker, 2016, Rn. 81).

Als objektive und deshalb den Anspruch des § 616 nicht begründende Momente hat das Bundesarbeitsgericht beispielhaft die Verhängung von Verkehrssperren, den Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel oder Naturereignisse wie Hochwasser, Schneeverwehungen oder Eisglätte genannt (vgl. BAG AP Nr. AP 58).

Für die Frage, ob ein persönliches Hindernis vorliegt, welches dem berufstätigen Elternteil zumindest für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Dauer“ einen Fortbestand des Vergütungsanspruchs auch bei Abwesenheit wegen Kinderbetreuung gewährt, kommt es darauf an, ob der Hinderungsgrund der persönlichen Sphäre des betroffenen Arbeitnehmers zuzuordnen und dem Arbeitnehmer im Hinblick darauf die Arbeitsleistung nicht zuzumuten ist (BAG AP Nr. AP 58).

Da die Schulschließungen für öffentliche und allgemeinbildende Schulen in den Bundesländern gelten und damit nicht lediglich einzelne Arbeitnehmer betreffen, ist es fraglich, ob dies einen Fall „persönlicher Verhinderung“ darstellt.

Persönliche Verhinderung ist keine Dauerlösung

Zu beachten ist, dass die Bestimmung des § 616 BGB – sofern sie nicht ggf. sogar arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich abbedungen ist – keine dauerhafte Lösung bietet und damit auch für längerfristige Schulschließungen nicht das probate Mittel der Wahl sein dürfte. nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt bei einer persönlichen Verhinderung lediglich die Fortzahlung der Vergütung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ in Betracht. Ein fixer bzw. verbindlicher Zeitraum lässt sich hier nicht benennen. Teilweise wird in Anlehnung an die Bestimmung des § 2 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und die dort geregelte Dauer zur Organisation einer bedarfsgerechten Pflege für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation bzw.zur Sicherstellung einer pflegerischen Versorgung eine Höchstdauer von zehn Arbeitstagen noch als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen. Dies ist jedoch nicht unumstritten (vgl. Baumgärtner, BeckOK BGB, 53. Edition, Rn. 9 zu § 616 BGB).

Wesentlich kommt es bei der Bestimmung des noch gedeckten Zeitraums auf den Einzelfall, auch unter Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Umstände der Verhinderung an. Unter Hinzuziehung der vorliegenden Rechtsprechung kommt über die Bestimmung lediglich eine Regelung für einige Tage in Betracht.

Zu beachten ist auch, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitshgerichts bei einer Überschreitung der Verhältnismäßigkeitsgrenze (d.h. der zu ermittelnden Höchstdauer für die Gehaltsfortzahlung bei persönloicher Verhinderung) der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ganz entfällt und nicht lediglich hinsichtlich des die Verhältnismäßigkeit überschreitenden Teils (Bundesarbeitsgericht GS AP Nr. 22).

Arbeitnehmer sollten ihren Arbeitgeber daher zum einen rechtzeitig über Grund und Umstand einer drohenden persönlichen Verhinderung informieren, Lösungen für alternative Betreuungsmöglichkeiten umfassend klären und bestmöglich eine Lösung mit ihrem Arbeitgeber abstimmen.

Beachten: § 616 BGB kann abbedungen sein

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es sich bei § 616 BGB um eine dispositive Bestimmung handelt und die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 616 BGB in vielen Arbeitsverträgen aber auch ggf. im Rahmen tarivertraglicher Regelwerke ausdrücklich abbedungen sein kann. Es ist den Arbeitsvertragsparteien zu empfehlen, sich diesbezüglich zu informieren.

Vorsicht vor Leistungsverweigerung. Abstimmung ist alles.

Grundsätzlich empfiehlt es sich ohnehin für beide Arbeitsvertragsparteien, in Verhinderungsfällen im Einzelfall interessengerechte Regelungen einvernehmlich abzustimmen.

Es bieten sich ggf. Vereinbarungen über die Möglichkeiten der Leistungserbringung von zuhause aus an. Auch das Abbummeln von Überstunden oder die Inanspruchnahme von unbezahltem Urlaub sind denkbare individuelle Lösungen.

Arbeitnehmer sollten in jedem Fall beachten, dass es grundsätzlich kein einseitiges Leistungsverweigerungsrecht gibt. Vor diesem Hintergrund sind berufstätige Eltern nicht berechtigt, ihre Kinder einfach aus Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus von der Schule fernzuhalten. Auch die einseitige Inanspruchnahme einer Tätigkeit im sog. Home-Office scheidet aus. Korrespondierend gibt es, ohne entsprechende arbeitsvertragliche Grundlage, auch keine Berechtigung des Arbeitgebers, einseitig schlicht die Tätigkeit im Home-Office anzuordnen.

Ziel der Arbeitsvertragsparteien sollte es in jedem Fall sein, zeitlich angepasste Vereinbarungen zu treffen und sich insbesondere hinreichend rechtzeitig auf weitere durch das Infektionsgeschehen bedingte Einschränkungen einzustellen.

Entschädigungsanspruch bei Verdienstausfall wegen behördlicher Schließung von Schule oder Kita

Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas

Für Sorgeberechtigte, die aufgrund der Betreuung ihrer Kinder vorübergehend nicht arbeiten können, wurde in das Infektionsschutzgesetz ein Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas zur Eindämmung der gegenwärtigen Pandemie aufgenommen: § 56 Abs. 1a Infektionsschutzgesetz (IfSG) gewährt erwerbstätigen Sorgeberechtigten, die ihre Kinder infolge der behördlichen Schließung oder eines Betretungsverbots von Kinderbetreuungseinrichtungen, wie Kita oder Schule, selbst betreuen müssen und deshalb einen Verdienstausfall erleiden, einen Entschädigungsanspruch. Die Auszahlung der Entschädigung übernimmt bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber. Dieser kann seinerseits bei der von den Ländern bestimmten zuständigen Behörde einen Erstattungsantrag stellen. Der Versicherungsschutz der Personen, die eine Entschädigung nach § 56 Abs. 1a IfSG erhalten, wird in der Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fortgeführt. Zunächst entrichtet grundsätzlich der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge auf einer Bemessungsgrundlage von 80 Prozent des Arbeitsentgelts. Der Arbeitgeber kann sich diese Beiträge jedoch erstatten lassen.

Wann habe ich einen Anspruch auf Entschädigung nach der neuen Regelung?

Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist, dass Sorgeberechtigte einen Verdienstausfall erleiden, der allein auf dem Umstand beruht, dass sie infolge der Schließung der Kita oder Schule ihre betreuungsbedürftigen Kinder selbst betreuen und ihrer Erwerbstätigkeit deswegen nicht nachgehen können. Kinder sind dann betreuungsbedürftig, wenn sie das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Für Kinder mit Behinderung, die auf Hilfe angewiesen sind, gilt es keine Altersgrenze.

Dauer und Höhe des Entschädigungsanspruchs

Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Vom Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 SGB V (Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs) gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt. Im Fall des Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1a IfSG wird die Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Verdienstausfalls für längstens sechs Wochen gewährt; für einen vollen Monat wird höchstens ein Betrag von EUR 2.016 gewährt.

Die Gesetzesregelung über die Entschädigung gilt bis zum Jahresende 2020.

Dr. Philipp Brügge

Rechtsanwalt Dr. Philipp Brügge LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gründungspartner der Hamburger Sozietät münchow commandeur brügge. Er vertritt Privatpersonen sowie institutionelle Mandanten in allen Bereichen des Arbeitsrechts sowie des Arbeitsprozessrechts.