Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung

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Von Dr. Philipp Brügge
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Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung

Der „Gelbe Schein“ ist kein Selbstgänger. Insbesondere bei zeitlicher Deckungsgleichheit mit der Restlaufzeit eines Arbeitsvertrages nach Kündigung kann der Beweiswert fraglich sein.

Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (Quelle: Pressemitteilung 25/21 des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021).

Der Bestand und die voraussichtliche Dauer einer Arbeitsunfähigkeit werden grundsätzlich zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist hierfür das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt dabei auch ein hoher Beweiswert zu.

Einer ärztlichen AU-Bescheinigung kommt grundsätzlich ein hoher Beweiswert zu.

Zweifel ein Arbeitgeber den tatsächlichen krankheitsbedingten Bestand einer Arbeitsunfähigkeit an, so muss er den grundsätzlich hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dafür muss der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegen und ggf. beweisen, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist es Sache des Arbeitnehmers, substantiiert darzulegen und zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig ist bzw. in dem behaupteten Zeitraum arbeitsunfähig war. Ein solcher Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.

Entscheidung des BAG stärkt Rechte von Arbeitgebern, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unmittelbar nach Zugang der Kündigung infrage zu stellen (BAG Urteil vom 08.09.2021, Az. 5 AZR 149/21).

Das Bundearbeitsgericht hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der beklagte Arbeitgeber den Bestand einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit einer kündigenden Arbeitnehmerin für die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach Kündigung in Frage gestellt und mit dieser Begründung die Zahlung der Entgeltfortzahlung verweigert hatte.

In dem maßgeblichen Fall reichte die Arbeitnehmerin noch am selben Tag der Kündigungserklärung eine als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Das Arbeitsverhältnis der Vertragsparteien sollte zwei Wochen nach Kündigungszugang durch die Kündigung enden. Der Krankheitszeitraum auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung umfasste genau diese Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses. Daraufhin verweigerte der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung.

Grundsätzlich wird der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zugeschrieben. Nun hat das Bundesarbeitsgericht jedoch entschieden, dass dies nach einer (Eigen)Kündigung nicht mehr uneingeschränkt der Fall sein soll.

Sollte der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegen und kann er gegebenenfalls sogar beweisen, dass ein Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit besteht, dann muss der Arbeitnehmer über die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinaus beweisen und substantiiert darlegen, dass er arbeitsunfähig war.
Das Bundesarbeitsgericht kam zu dem Schluss, dass sich Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit insbesondere durch den Zusammenfall der Zeiträume – Dauer Restlaufzeit des Arbeitsvertrages und des Bestandes der behaupteten Arbeitsunfähigkeit – begründen. Die Arbeitnehmerin hat sich genau für die Länge der Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung krankgeschrieben. Sie konnte im Verlauf des Verfahrens, trotz der Bescheinigung und des Aufrufes ihres behandelnden Arztes als Zeuge, nicht darlegen, dass eine Arbeitsunfähigkeit wirklich bestanden hat. Aufgrund dessen kam das Bundesarbeitsgericht – anders noch als die Vorinstanzen -, dass in dieser zeitlichen Konstellation der Beweiswert erschüttert bleibt und für den fraglichen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung zu leisten ist.

Das ist natürlich nicht der Standardfall. Hat das Arbeitsgericht Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, dann heißt das nicht direkt im Umkehrschluss, dass der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung leisten muss.

Den Arbeitnehmer trifft jedoch ab jetzt eine gesteigerte Beweislast. Es reicht eben nicht mehr aus, wenn als Beweis nur die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt wird. Um den Nachweis von Bestand und Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit für einen solchen Zeitraum zu führen, ist der Arbeitnehmer mithin gesondert darlegungs- und beweispflichtig.

Die Entscheidung mag den Anlass dafür bieten, insbesondere Arbeitsunfähigkeitszeiten, die im engen zeitlichen Zusammenhang bzw. unmittelbar mit dem Ausspruch einer Kündigung mitgeteilt werden, gesondert zu betrachten. Jedenfalls ist der „gelbe Schein hier kein Selbstgänger“ mehr.

Dr. Philipp Brügge

Rechtsanwalt Dr. Philipp Brügge LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gründungspartner der Hamburger Sozietät münchow commandeur brügge. Er vertritt Privatpersonen sowie institutionelle Mandanten in allen Bereichen des Arbeitsrechts sowie des Arbeitsprozessrechts.