Whistleblowing: Bundeskabinett beschließt Hinweisgeberschutzgesetz

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Von Dr. Philipp Brügge

Whistleblowing: Bundeskabinett beschließt Hinweisgeberschutzgesetz

Das Bundeskabinett hat am 27.07.2022 den vom Bundesjustizministerium (BMJ) vorgelegten Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Hinweisgeberschutzrichtlinie, (HinSch-RL), beschlossen.

Mit dem nunmehr im Entwurf beschlossenen Gesetz zum Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) soll deren bislang lückenhafter und unzureichender Schutz ausgebaut werden. Damit wird in einem wichtigen Compliance-Bereich Rechtsklarheit geschaffen. die Diskussion beendet, ob und inwieweit die Regelungen der HinSch-RL nach Ablauf der Umsetzungsfrist bereits unmittelbar oder im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung Anwendung finden.

Bisher: Hinweisgeberschutz weitgehend durch Rechtsprechung geprägt

Bisher orientieren sich Gerichte der Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit an den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).

Art. 10 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechteund Grundfreiheiten

Dieser hatte sich im Jahr 2011 in einer Grundsatzentscheidung mit der Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen befasst und geurteilt, dass im konkreten Fall eine Verletzung von Art. 10
(Freiheit der Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention vorlag. Der EGMR bestätigte die Pflicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber dem Arbeitgeber und bezeichnete den Gang an die Öffentlichkeit als „letztes Mittel“. Für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber bleibt allerdings angesichts der bisweilen unscharfen Kriterien für ein zulässiges „Whistleblowing“ ein erhebliches Risiko, wenn sie einen Rechtsverstoß an externe Stellen melden.

Durch die Umsetzung der HinSch-RL und Kodifizierung der durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze soll Rechtsklarheit für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber („Whistleblower“) darüber schaffen, wann und durch welche Vorgaben sie bei der Meldung oder Offenlegung von Verstößen geschützt sind.

Besserer Schutz für hinweisgebende Personen

Wesentlicher Bestandteil des nunmehr beschlossenen Entwurf des Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) sind zentrale gesetzliche Regelungen für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen. Das Hinweisgeberschutzgesetz wird begleitet von Anpassungen bestehender gesetzlicher Regelungen (Art. 2 bis 8 des Gesetzentwurfs).

Anwendungsbereich des HinSchG nach Richtlinienvorgabe weit gefasst

Der persönliche Anwendungsbereich des HinSchG soll entsprechend den Vorgaben der HinSch-RL weit gefasst werden. Das Gesetz regelt den Schutz von natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen (hinweisgebende Personen). Darüber hinaus werden Personen geschützt, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind und umfasst alle Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben (§ 1 des Gesetzesentwurfs).

Zentrale Regelung: Vorgaben zur Einrichtung interner und externer Meldestellen

Kernstück der zur Umsetzung beschlossenen Regelungen zu einem Hinweisgeberschutzsystem ist die an Beschäftigugsgeber gerichtete Verpflichtung, interne und externe Meldestellen einzurichten, die hinweisgebenden Personen für eine Meldung von Verstößen zur Verfügung stehen sollen. Entsprechend den Richtlinienvorgaben sollen hinweisgebende Personen frei darin sein, für ihre Meldung die internen oder sogleich die externen Stellen zu wählen.

Unabhängigkeit und notwendige Fachkunde

Die mit den Aufgaben einer internen Meldestelle beauftragten Personen sollen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unabhängig sein. Sie dürfen neben ihrer Tätigkeit für die interne Meldestelle andere Aufgaben und Pflichten wahrnehmen. Es ist dabei sicherzustellen, dass derartige Aufgaben und Pflichten nicht zu Interessenkonflikten führen. Beschäftigungsgeber tragen dafür Sorge, dass die mit den Aufgaben einer internen Meldestelle beauftragten Personen über die notwendige Fachkunde verfügen.

Verpflichtung zur Einrichtung interner Meldestellen ab 50 Beschäftigten vorgesehen

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen für Unternehmen der Privatwirtschaft sowie öffentliche Stellen gelten soll, sofern bei der jeweiligen Stelle in der Regel mindestens 50 Personen beschäftigt sind. Mehrere private Beschäftigungsgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten können für die Entgegennahme von Meldungen und für die weiteren nach diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen eine gemeinsame Stelle einrichten und betreiben. Die Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, um den Verstoß abzustellen, und die Pflicht zur Rückmeldung an die hinweisgebende Person verbleiben bei dem einzelnen Beschäftigungsgeber. Für Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten Umsetzungsfrist für Einrichtung interner Meldestellen bis Mitte Dezember 2023 geplant.

Neben bereits bestehenden besonderen Meldesystemen (z.B. für den Bereich von Wettbewerbs- oder Kartellverstößen) ist vorgesehen, eine zentrale externe Meldestelle beim Bundesamt für Justiz (BfJ) einzurichten.

Schutz der Indentität hinweisgebender Personen als zentrale Vorgabe

Zentrale Vorgabe für die Einrichtung ausreichender Hinweisgeberschutzsysteme ist der Schutz der Identität der Hinweisgebenden und sämtlicher von einer Meldung betroffenen Personen. Informationen über die Identität einer hinweisgebenden Person oder einer Person, die Gegenstand einer Meldung ist, oder über sonstige Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität dieser Person erlauben, dürfen abweichend hiervon an die zuständige Stelle weitergegeben werden z.B. in Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung.

Anonyme Meldungen

Um der Gefahr einer Überlastung des neuen Hinweisgeberschutzsystems vorzubeugen, können die zur Einrichtung von Meldestellen Verpflichteten frei darüber entscheiden, ob sie Systeme vorsehen, die die Abgabe und Bearbeitung anonymer Meldungen unter Gewährleistung der Anonymität ermöglichen, oder ob sie hierauf verzichten. Allerdings sollten interne und externe Meldestellen – soweit nicht bereits eine spezialgesetzliche Regelung existiert – immer auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten. Dadurch darf aber die vorrangige Bearbeitung nichtanonymer Meldungen nicht gefährdet werden. Auch anonyme Hinweisgeber fallen unter die Schutzbestimmungen des HinSchG, wenn ihre zunächst verdeckte Identität bekannt wird.

Entsprechend der Richtlinienvorgabe soll die Offenlegung von hinweisgebenden Personen an die Öffentlichkeit nur unter strengen Voraussetzungen vorgesehen sein, z.B. in Fällen der Gefahr drohender irreversibler Schäden.

Ausschluss der Verantwortlichkeit sowie Schutz vor Repressalien

Der Entwurf des HinSchG sieht entsprechend den Richtlinienvorgaben verschiedene Schutzmaßnahmen für hinweisgebende Personen vor. Zentrales Element ist das Verbot von Repressalien. Nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 6 des Entwurfs des HinSchG sind „Repressalien“ Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung oder eine Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann. Hierzu werden alle ungerechtfertigten Nachteile wie etwa Kündigung, Abmahnung, Versagung einer Beförderung, geänderte Aufgabenübertragung, Disziplinarmaßnahmen, Diskriminierung, Rufschädigung oder Mobbing gezählt, die eine hinweisgebende Person infolge einer Meldung oder Offenlegung erleidet.

Um die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger zu verbessern, enthält der Entwurf in Umsetzung der Richtlinie eine Beweislastumkehr zugunsten der geschützten Person.

Schadensersatzansprüche

Der Entwurf des HinSchG enthält zwei spezielle Schadensersatzvorschriften: Zum einen ist der hinweisgebenden Person bei einem Verstoß gegen das Repressalienverbot der daraus entstehende Schaden zu ersetzen. Zum anderen ist im Falle einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschmeldung die hinweisgebende Person zur Erstattung des dadurch eingetretenen Schadens verpflichtet.

Sanktionen

Verstöße gegen die wesentlichen Vorgaben des HinSchG sollen als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet werden können. Dies gilt z.B. für das Behindern von Meldungen oder das Ergreifen von Repressalien, aber auch das wissentliche Offenlegen unrichtiger Informationen.

Quelle: Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 27.07.2022

Der vom Bundeskabinett beschlossene Regierungsentwurf wird nun dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet und nach einer Gegenäußerung der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag weitergeleitet und dort beraten.

Für Unternehmen lässt sich mit den bevorstehenden Regelungen weiterer Handlungsbedarf im Bereich der Etablierung und erforderlichenfalls Nachschärfung bzw. Optimierung funktionierender Compliance-Systeme absehen.

Dr. Philipp Brügge

Rechtsanwalt Dr. Philipp Brügge LL.M. ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gründungspartner der Hamburger Sozietät münchow commandeur brügge. Er vertritt Privatpersonen sowie institutionelle Mandanten in allen Bereichen des Arbeitsrechts sowie des Arbeitsprozessrechts.